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Bingen und der Mäuseturm, Hildegard von Bingen
Mit der Zunahme der Bedeutung des Rheins als Handelsweg und dem
steten Ausbau der Rheinschifffahrt hat sich im Mittelalter die strategisch
günstige Lage von Bingen mit der Erhebung von Zöllen auch in
klingende Münze umsetzen lassen. Eigens zu diesem Zweck wurde im
13. Jahrhundert der Mäuseturm auf einer kleinen Rheininsel bei Bingen
errichtet, wo sich schon in römischer Zeit eine Befestigungsanlage zur
Sicherung der Rheinschifffahrt befunden hatte. Die Anlage war dann als
"Maut"-Turm bis zu ihrer Sprengung im Jahre 1689 durch französische
Truppen in Betrieb. Beim Wiederaufbau wurde der Turm schließlich als
Signalwarte für die Schifffahrt durch das Binger Loch eingerichtet. Die
Legende will wissen, dass der Mainzer Erzbischof Hatto II. hier auf
denkwürdige Weise im Jahre 970 zu Tode gekommen sei. Die Geschichte
soll sich wie folgt zugetragen haben: Der für seine Hartherzigkeit
gegenüber Armen berüchtigte Mann hatte angefangen, Getreide zu
horten und stürzte damit das Volk in eine große Hungersnot, welche
nicht nur die Armen und Ärmsten besonders hart traf, sondern auch in
weiten Teilen der Bevölkerung zu beträchtlichen Unruhen führte. Da
ereilte ihn die gerechte Strafe in Form einer gewaltigen Mäuseplage. Die
gefräßigen Tiere vernichteten nicht nur all sein gehortetes Getreide,
sondern verfolgten ihn sogar selber. In seiner Not flüchtete er darauf in
den Mäuseturm, weil er sich auf der kleinen Insel im Rhein in Sicherheit
wähnte. Aber die Mäuse kamen auch hierher und fraßen ihn schließlich
mit Haut und Haaren auf. Keine Frage: dulce et decorum est pro iustitia
mori. Vivant sequentes!
Auf der anderen Seite der Rheins liegt die Ruine
der Burg Ehrenfels, die dem Mainzer Erzbischof gehörte und in der
lange Zeit der Mainzer Domschatz aufbewahrt wurde. Zusammen mit
dem Mäuseturm wurde sie im Jahre 1298 zu einem perfekten Sperr-Riegel
für die Rheinschifffahrt ausgebaut. Auf diese Weise konnten die
Zolleinnahmen auf sehr effiziente Weise gesteigert werden. Die
damaligen Zeiten müssen für die Rheinschiffer sehr hart gewesen sein,
denn nur 5 Kilometer stromabwärts kam mit der Burg Rheinstein bereits
die nächste Zollstelle. Hier saß im Jahre 1282 König Rudolf von
Habsburg über die Raubritter zu Gericht, die das Mittelrheintal unsicher
machten. Auf Rheinstein folgte wenig später mit Burg Pfalzgrafenstein
auf der Höhe von Kaub eine außergewöhnliche Zollstelle mitten im
Rhein (1326-1327 von König Ludwig von Bayern zum Zwecke der
Zollerhebung erbaut). Hatten die Schiffer dann glücklich den
gefährlichen Loreley-Felsen passiert, stießen sie auf Burg Rheinfels bei
St. Goar (erbaut 1245), einen weiteren Sperr-Riegel für die Zollerhebung,
diesmal durch die Grafen von Katzenelnbogen. Wenn wir uns also heute
über Autobahngebühren erzürnen: früher war es keinesfalls besser.
Direkt bei der Mündung der Nahe in den Rhein liegt der
Rupertsberg,
wo die Benediktinerin
Hildegard von Bingen
(1098-1179) —in der Nähe von Alzey geboren und auf dem
Disibodenberg
im Nahetal aufgewachsen— ihr erstes Kloster gründete. Sie ist eine ausgesprochen
bemerkenswerte Frau, die sich vehement gegen die Mächtigen ihrer Zeit durchzusetzen
wusste und mit vielen ihrer Gedanken erstaunlich "modern" war. Es verwundert
deshalb nicht, dass ihre Schriften und ihre Musik in jüngster Zeit wieder zu großer
Popularität gelangten. Ihre wissenschaftliche Arbeit und Beschäftigung mit
naturwissenschaftlichen und medizinischen Fragen —höchst ungewöhnlich für eine Frau
in der damaligen Zeit— beeindrucken ganz besonders. So hat sie in systematischer Form
die Pflanzen des Naheraumes gesammelt und dokumentiert. In den "Physica" von
Hildegard von Bingen sind beispielsweise mehr als 250 Gewächse erfasst und viele
Volksheilmittel und "natürliche" medizinische Behandlungsmethoden beschrieben.
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Der Mäuseturm steht auf einer kleinen, langgezogenen Insel im Rhein bei Bingen.
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