Der Hunsrückdom zu Ravengiersburg
Erreicht man Ravengiersburg auf der Straße von Oppertshausen
kommend, so öffnet sich beim Verlassen des Waldes
unvermittelt der Blick ins Simmerbachtal und auf den
Hunsrückdom St. Christophorus, der sich ausgesprochen wuchtig
auf einem Felssporn über den dicht gedrängten Häusern des
kleinen Dorfes erhebt. Die beiden fünfgeschossigen Türme des
Westwerks mit ihren Rautendächern —ursprünglich als
standfeste Wehranlage errichtet— beeindrucken weniger durch
ihre Höhe von 42 Metern, als vielmehr durch ihre quadratische
Konstruktion mit einer Breite von jeweils 8 Metern, so dass sich
mit dem verbindenden Zwischenbauwerk eine Gesamtbreite des
Westwerks von 22 Metern ergibt. Die Unversehrtheit und die
Geschlossenheit der architektonischen Anlage machen den
Hunsrückdom zu einem der bedeutendsten Bauwerke des 12.
und 13. Jahrhunderts zwischen Nahe, Mosel und Mittelrhein.
Die ursprüngliche romanische Kirche entstand um das Jahr 1160
und muss eine dreischiffige Basilika gewesen sein. Sie hatte etwa
die Länge der heutigen Kirche und war an die Doppeltürme des
Westwerks angebaut. Unter dem Chorwerk befand sich eine
vierschiffige romanische Krypta mit drei Apsiden aus der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts (Apsis: im Grundriss
halbkreisförmige Nische, die von einer Halbkuppel überwölbt
wird). Ein verheerender Brand zerstörte jedoch um das Jahr 1440
die romanische Basilika. Von dem im Jahre 1497
abgeschlossenen Neubau, vermutlich eine im gotischen Stil
gehaltene dreischiffige Hallenkirche, ist nach der Zerstörung
durch schwedische Truppen im Jahre 1631 nichts erhalten
geblieben. Der Wiederaufbau in den Jahren 1718-1722 erfolgte
durch Kurfürst Carl Philipp auf den alten Fundamenten der
Kirche unter Verwendung des vorhandenen Steinmaterials.
Ein aus Sandstein gefertigtes Kreuz mit einer bekleideten
romanischen Christusfigur ist unter dem mittleren Spitzbogen
des Südturmes eingelassen. Die Füße des Gekreuzigten sind
nicht genagelt, er ist bartlos und trägt —recht ungewöhnlich—
eine Königskrone. Dieser Typus des bekleideten gekreuzigten
Christus ist eine romanische Besonderheit, die auf den Volto
Santo im italienischen Lucca zurückgeht und von denen es nur
wenige in Deutschland gibt, so das Immervard-Kruzifix im
Braunschweiger Dom, das um das Jahr 1175 entstanden ist (Volto
Santo: eigentlich "Heiliges Antlitz", ein überlebensgroßes,
künstlerisch herausragendes Kruzifix aus Holz, dessen
Popularität im Mittelalter ganz Europa erfasst hatte und von
dem es Repliken in mehreren europäischen Ländern gibt). Der
11 Meter hohe barocke Hochaltar aus dem Jahre 1722 ist mit
Nussbaumfurnier ausgelegt und stellt zweifelsohne einen
Blickfang der insgesamt sehr schlicht gehaltenen heutigen Kirche
dar. Er wurde von Kurfürst Carl Philipp gestiftet, dessen
Wappen deshalb über der Altarnische angebracht ist.
Das Augustiner-Chorherrenstift zu Ravengiersburg wurde im
Jahre 1074 durch Erzbischof Siegfried von Mainz für 12
Kanoniker gegründet, nachdem Graf Berthold von der
Ravengiersburg und seine Gemahlin Hedwig kinderlos
geblieben waren und ihren gesamten Besitz an den Mainzer
Erzbischof übergeben hatten. Dies unter der Auflage der
besagten Klostergründung. Die Blütezeit des Klosters lag im 14.
und 15. Jahrhundert und dauerte fast 250 Jahre. In dieser Zeit
entwickelte sich das Kloster zu einer der größten
Grundherrschaften der gesamten Region, deren Besitztümer von
der Nahe bis an die Mosel reichten. Damit ergab sich ein
beträchtlicher Einfluss sowohl auf die kulturelle wie auch die
machtpolitische Entwicklung im mittleren Hunsrück. Die
Entstehung des Kreuzganges datiert in diese Zeit zurück (1487).
Mit den Wirren der Reformationszeit und dem Dreißigjährigen
Krieg endete die große Zeit des Klosters, und es begann eine
wechselhafte und schmerzvolle Geschichte, die im Jahre 1631
mit der fast vollständigen Zerstörung des Klosters und seiner
Kirche endete. Mit der Kauber Kirchenteilung im Jahre 1706
gingen die Ruinen der Klosterkirche in den Besitz der
Pfarrkirche Ravengiersburg über, die jedoch noch bis zur
Säkularisierung im Jahre 1803 von Augustinern betreut wurde.
Im vergangenen Jahrhundert wurde für einen relativ kurzen
Zeitabschnitt in Ravengiersburg eine philosophisch-theologische
Hochschule eingerichtet (1920-1979), was den Neubau von zwei
neuen Querflügeln auf dem ehemaligen Klosterareal zur Folge
hatte. Seit der Aufhebung der Hochschule ist das
Berufsbildungswerk der katholischen Arbeiterbewegung dort in
einem modernen Neubau untergebracht.