Der Rupertsberg bei Bingen
Der Rupertsberg bei Bingen, auf der gegenüberliegenden Seite der Nahe
im Ortsteil Bingerbrück gelegen, hat seinen Namen der Legende nach
vom hl. Rupertus, der hier im 8. Jahrhundert wirkte. Seine
begüterten Eltern, deren Besitz sich fast bis zur Stadt Mainz erstreckte,
waren der heidnische Adlige Robolaus und die christliche Fürstentochter
Bertha. Nach dem frühen Tode ihres Mannes, der in beständige
kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war, zog Bertha mit
ihrem dreijährigen Sohn ans linke Ufer der Nahe, wo sie auf dem
heutigen Rupertsberg ihr Haus errichtete, unweit der Mündung der
Nahe in den Rhein. Weit ab vom höfischen Leben jener Zeit wollte sie
ihren Sohn so von einem kriegerisch-weltlichen Leben fernhalten. In den
folgenden Jahren war Bertha auf vielfältige Weise karitativ tätig und
erwarb sich rasch den Ruf einer Volksheiligen. Kaum 15 Jahre alt
unternahm Rupertus eine Pilgerreise nach Rom und ließ nach seiner
Rückkehr Kirchen und Wohnhäuser für die Armen auf seinen
Ländereien bauen. Um das Jahr 732 starb er jedoch an einem heftigen
Fieber. Bertha überlebte ihren Sohn um 25 Jahre. Beide wurden in einer
kleinen Kirche auf dem Rupertsberg bestattet. Später errichtete die
dankbare Bevölkerung dort zu ihrem Andenken eine Kapelle.
Weltberühmt wurde der Rupertsberg durch
Hildegard von Bingen
(1098-1179), eine der bedeutendsten Frauen des Hochmittelalters, die
hier im Jahre 1147 an der Grabstätte des Rupertus ihr 'Kloster
Rupertsberg' gründete. Hildegard wusste sich als Frau vehement gegen
die Mächtigen ihrer Zeit durchzusetzen und war mit vielen ihrer
Gedanken erstaunlich "modern". Heute ist der eher unscheinbare
Rupertsberg innerhalb der flächendeckenden Überbauung von
Bingerbrück nur schwer zu entdecken und selbst vom Aussichtsturm der
Burg Klopp nicht ohne weiteres auszumachen. Dies war natürlich im
Sommer 1147 ganz anders, als Hildegard mit 18 weiteren adeligen
Frauen vom nahe gelegenen Kloster
Disibodenberg
bei
Bad Sobernheim
aufbrach, um hier oberhalb der Nahemündung ihr eigenes Kloster zu
errichten. Dass dies nicht ohne Widerstand der Amtskirche abging, liegt
auf der Hand. Aber Hildegards charismatische Persönlichkeit, gepaart
mit der ihr eigenen weitsichtigen Beharrlichkeit, gaben wohl letztlich
den Ausschlag zum Erfolg. Am 22. Mai des Jahres 1158 wurde die
Klostergründung durch Erzbischof Arnold von Mainz urkundlich als
Benediktinerinnen-Abtei anerkannt. Ein Schutzbrief Kaiser Friedrich
Barbarossa's aus dem Jahre 1163 sicherte das Kloster dann auch politisch ab.
Nach ersten entbehrungsreichen Jahren setzte die Blütezeit des
Rupertsberger Konvents etwa im Jahre 1152 ein, nachdem das Kloster
durch die Übernahme verschiedener Disibodenberger Güter sowie durch
eine Reihe namhafter Schenkungen einen recht ausgedehnten Besitz in
der näheren und weiteren Umgebung sein eigen nennen konnte. Das
Anwachsen des Konvents bewog Hildegard im Jahre 1165 die Gebäude
und Besitzungen des Klosters Eibingen auf der gegenüberliegenden Seite
des Rheins zu erwerben. Dieses ehemalige Augustinerkloster war nicht
einmal 20 Jahre vorher von der Adeligen Marka von Rüdesheim gestiftet
worden, geriet dann aber in den Kriegswirren unter Kaiser Barbarossa in
feindliche Auseinandersetzungen und wurde weitgehend zerstört. Nach
dem Erwerb der Überreste des Eibinger Klosters begann Hildegard
unverzüglich mit den Renovierungsarbeiten, so dass dort noch im
gleichen Jahr etwa 30 Benediktinerinnen untergebracht werden konnten.
Hildegard selber fuhr fortan zweimal pro Woche über den Rhein zu
ihrer "Rupertsberger Filiale". Wichtigste Einnahmequelle des Klosters
war der Weinbau, an dem sich alle Klosterfrauen beteiligten. Hildegard
selber war für den Verkauf des Weines besorgt. Mit dem Wohlstand
entwickelte sich eine richtige kleine Klosterstadt auf dem Rupertsberg, in
deren Mittelpunkt eine zweitürmige Basilika stand. Der gesamte
Komplex mit allen seinen Gebäuden war von hohen Mauern umgeben,
die einen guten Schutz gegen Eindringlinge boten.
Die obige Abbildung aus dem
Jahre 1620 vermittelt einen guten Eindruck von der Größe der Klosteranlage.
Nur wenig später In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges
wurden die Nonnen vertrieben, das Kloster von schwedischen Truppen
besetzt und im April 1632 durch den schwedischen Major Hanna
geplündert und niedergebrannt. Weil die Gebäude im wesentlichen
unbewohnbar waren, musste die Verwaltung des Rupertsbergs und
seiner verbliebenen Besitzungen für mehrere Jahre von Eibingen aus
erfolgen. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage wurden auch
später nur noch Teile des Klosters wieder aufgebaut. Immerhin aber
konnte der Mainzer Weihbischof im Jahre 1729 die aus Teilen der
ehemaligen Klosterkirche erbaute Marienkapelle einweihen. Mit der
Säkularisierung kam 1801 das Ende des Klosters mit der Versteigerung
der Ruinen auf dem Rupertsberg, dem Hof und den umliegenden
Weinbergen. Die sich nach dem Eisenbahnbau rasch vergrößernde
Gemeinde Bingerbrück erwarb in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts größere Teile der Weinberge als Bauland. Trotzdem wurde
der Rupertsberg bis vor etwa 30 Jahren noch als Weingut auf reduzierter
Fläche betrieben. Dann vernichtete 1975 ein schwerer Brand das
Haupthaus bis auf die Grundmauern. Bedingt durch diese Katastrophe
und dem deswegen notwendig gewordenen Wiederaufbau ergab sich
die einmalige Gelegenheit, die zu dieser Zeit noch vorhanden Reste der
Klosterkirche freizulegen und in ihrer Substanz zu untersuchen und zu
dokumentieren.
Der heutige Besitzer hat unter großem Aufwand und in
Zusammenarbeit mit der staatlichen Denkmalpflege die Arkaden der
Klosterkirche in die Ausstellungsräume seines vor 25 Jahren neu
errichteten Hauses integriert. Damit ist es gelungen, der Nachwelt einen
substantiellen Rest der ehemaligen Klosterkirche zu erhalten, in
Erinnerung an die kulturelle Bedeutung und die besondere
Ausstrahlung, die von diesem Ort durch Hildegard von Bingen und ihre
Werke ausging und noch immer ausgeht.